„Das Zögerliche bezieht sich auf den Moment der Artikulation im Film und des Drehs.“
Torsten Näser (Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie, Georg-August- Universität Göttingen) bezieht sich mit dem Begriff des „Zögerlichen“ auf das „Selbst“ der*des Filmschaffenden. Er thematisiert damit, wie deutlich sich die Position der*des ethnologischen Forscher*in im Film wiederfindet.
In seinem Vortrag „Das zögernde Selbst. Stellenwert und Formen autoethnografischer Zugänge im Kanon des ethnologischen Films.“ beschäftigt sich Torsten Näsermit der Problematik der*des Autor*in. Er behandelt unterschiedliche Formen der Implikation der*des ethnographisch Forschenden im Film. Diese definiert er als Subjektivierungsmodi, welche auf das Ereignis der Darstellung hinweist.
Näserwirft dabei Fragen auf, die Entscheidungen für bestimmte Subjektivierungsformen während der Konzeption und des Produktionsprozesses ethnographischer Filme betreffen. Dies zeigt er am Beispiel unterschiedlicher ethnographischer Filme.
In der Fremde (Deutschland, 1967) wird als ein „klassisches“ Beispiel des „direct“ oder „observational cinema“ vorgestellt. Der Film hebt eine passive Form des Beobachtens hervor. Die*der Forscher*in bleibt für die Zuschauer*innen unsichtbar. Das „Selbst“ äußert sich in der Kameraführung wobei der Körper der filmenden Person und die Kamera sich in einer postulierten Unsichtbarkeit vereinen, um die Dinge so einzufangen, wie sie ohne Präsenz der Kamera passieren würden.
Der Film Re-Assemblage. From the Firelight to the Screen (USA, 1983) stellt einen „Frontalangriff“, wie NÄSER sagt, auf das Genre des „observational cinema“ dar. Ähnlich wie in jenem Genre verzichtet man auf die sichtbare Körperlichkeit, öffnet jedoch den Raum für Off-Kommentare. Das „Selbst“ äußert sich in der*dem artikulierenden Filmemacher*in.
Im Gegensatz hierzu steht der Plansequenzfilm Schoolscapes (Australien, 2007). Der*die Filmemacher*in zieht sich so weit wie möglich zurück. Seine*ihre Körperlichkeit verliert an Bedeutung. Das „Selbst“ äußert sich in der Wahl der statischen Kameraeinstellungen, hier eine sogenannte „Editorial“ Artikulation.
Des Weiteren stellt Stori Tumbuna: Ancestors’ Tales (Neuseeland, 2011) den Subjektivierungsmodus der ko-konstruierten Erzählung oder „community auto-ethnographies“ dar. Der Filmemachende ist deutlich präsent: sowohl auditiv in Form von Off-Kommentaren, die das ethnografischen Narrativ der Ankunft und Paul Wolframs Einstieg ins Feld begleiten, als auch visuell, wie die häufig sichtbare Anwesenheit des Filmemachenden zeigt und schließlich in eine „höchst real dargestellten Begegnung mit einem monsterähnlichen Wesen“ seinen Höhepunkt findet. Ferner führt die Selbstthematisierungen und das Involviertsein des Filmemachende in Kombination mit vertrauten Narrativen des ethnografischen Films zu einem „zunehmend irreführenden Diskurs, inkongruenter Narration“.
Schließlich erweitert der Film Leviathan (USA, 2012) die Diskussion rund um das zögerliche „Selbst“. Die Darstellung ist, nach Näser, „spezienübergreifend“. Subjekte sollen keine Stimme, sondern einen Körper erhalten. Damit wird das Beobachtungsparadigma vervielfacht, eine Subjektivierung im klassischen ethnographischen Sinne wird hier unterlaufen. Somit ist keine Subjektivierung möglich. Das „Selbst“ der Filmemachenden variiert dabei zwischen „arrangiertem Selbst“, sich „auflösendem Selbst“ und „zusammengestelltem Selbst“.
„Cine-eye = Cine-I-see [I see with the camera] + cine-I-write [I record on film with the camera] + cine-I-organize [I edit]”
Bei genauer Analyse des Genres, zeigt sich die Tendenz zu einem „zögernden Selbst“ einer Zurückhaltung der*des Filmemachenden. In den Worten Näsers ist ein „paradigmatisches Ideal“ des*der selbstfilmenden Ethnolog*in zu identifizieren; „Wer hinter der Kamera steht, kann nicht vor ihr stehen.“
Ferner deutet Näseran, dass der*die Filmschaffende auch als „unternehmerisches Selbst“ gedacht werden kann. Denn der Akt des Filmemachens ist von unternehmerischen Subjektivierungsformen geprägt. In diesem Sinne ist der*die Forscher*in als unternehmerisches Selbst in der Planung und Finanzierung, sowie der Recherche und den Dreharbeiten des Films aktiv. Die Figur des*der Ethnolog*in sollte laut Näserdiesen Aspekt des „Selbst“, genauer der eigenen Körperlichkeit, nicht unterschlagen, sondern „beschreibend, analytisch und/oder vermittelnd für die Forschung nutzbar machen“.
Schließlich eröffnen Torsten Näsers Überlegungen eine Debatte zur Vermittlung und Darstellung ethnologischer Forschung innerhalb eines neuen Mediendiskurses, in der ich mich als Studentin gut verorten kann. So hat der Vortrag mir zum einen aktuelle Formen der Selbstdarstellung im und -reflexion des ethnografischen Films vermittelt. Die Idee des „zögernden Selbst“ ermöglicht mir zum anderen, zukünftig zum Diskurs über die Problematik der*des Autor*in im ethnografischen Films im Austausch zwischen Filmemachenden und Forschung beizutragen.