In seinem Vortrag zum Thema „Self and Other through a lens“ zeigt Paolo Favero die Möglichkeiten verschiedener Medienformate für die ethnographische Forschung. Während Medien wie Fotos oder Videos zum Beispiel von Kirsten Hastrup als problematisch für die Forschung betrachtet werden („a form of thin description“), sieht Favero gerade in dieser Dünnheit eine Stärke und attestiert ihnen ein „great potential in their superficiality“. Nur dadurch, dass er zunächst die Schwächen des Formats erkennt, kann er dann wiederum das volle Potential aus ebendiesem schöpfen. Ganz im Sinne von Maurice Merleau-Ponty sieht auch Favero seine Welt nicht als das, was er denkt, sondern als das, was er durchlebt, was er wiederum mittels audiovisuellen Medien versucht festzuhalten.
Auf der Suche nach Antworten in Indien
Aufgrund des Todes seines Vaters sah Paolo Favero sich von Fragen zu seinem eigenen Leben überwältigt. Sein Weg führte ihn nach Delhi, wo der Tod seiner Ansicht nach deutlich öffentlicher ist. Dies zeigt sich für ihn beispielsweise in der hinduistischen Reinkarnations-Theorie, die zu einem hoffnungsvolleren Umgang mit dem Tod führe. So entstanden in unterschiedlichen Alters- und Obdachlosenheimen, die Zentrum seiner aktuellen Forschung sind, Freundschaften mit den BewohnerInnen, die er mittels Fotos und Videos festgehalten hat. Auch in dieser Hinsicht zeigte sich für Favero ein Unterschied zu Erfahrungen mit visuellen Forschungsmethoden in westlichen Kontexten. Während er in Europa in ähnlichen Situationen meist eine gewisse Kamerascheu bei seinem Gegenüber zu erkennen meint, begegnete ihm in Delhi eine wahre „pleasure of being photographed or filmed“, die er als „very Indian“ bezeichnet.
Das jähe Ende und neue Möglichkeiten
Es ist fast eine Ironie des Schicksals, dass die Gefahr für das eigene Leben jedoch letztendlich auch zum Ende dieser Forschungsreise geführt hatte. Aufgrund der hohen Luftverschmutzung, der zunehmenden politischen Unruhen und des verbreiteten Aufkommens von COVID-19 in Indien ist Favero nach Europa zurückgekehrt, entwickelte dadurch aber wieder neue forschende Zugänge. Er blieb weiterhin in Kontakt mit seinen indischen Freunden und konnte die Videoanrufe mit ihnen als neues Format nutzen, um weitere Erkenntnisse zu sammeln und diese auf eine neue Weise zu dokumentieren.
Was man sieht und was man glaubt zu hören
Die Auswahl seines Bildmaterials mag auf den ersten Blick verwirren, oft zeigen sich sehr alltägliche Szenen ohne besonderen Seltenheitswert. Genau auf diese Bilder hat es Favero jedoch abgesehen: Es geht hier nicht darum, sensationelle Momente zu zeigen, sondern vielmehr den Alltag in einer durch COVID neuartigen Situation, die für die meisten BewohnerInnen nur schwer zu fassen ist. Gerade bei den Videos zeigte sich dabei in einem Experiment mit den Studierenden eine spannende Reaktion. Einige Studierende bekamen nur die Tonspuren der Videos zugespielt und sollten ihre Reaktionen darauf festhalten. Die Audiofiles wurden von manchen als befremdlich empfunden, teils war es ihnen nicht möglich zu erkennen, dass die Geräusche, die sie hörten, von Menschen stammten.
Dieses Experiment zeigt unter anderem die Möglichkeiten von Faveros multimedialer Forschung. Während die einzelnen Medien unterschiedliche Stärken und Schwächen vorweisen, zeigt sich in der Kombination ihre wahre Bandbreite. Darüber hinaus beweist Paolo Favero mit seiner Anpassungsfähigkeit eine Qualität, die in der ethnologischen Forschung einen hohen Stellenwert einnimmt.Trotz unvorhersehbaren Umständen findet er neue Möglichkeiten, um seinen Weg weiterzugehen, und zeigt damit, dass in jedem Unglück – sei es der Tod seines Vaters oder eine unerwartete Pandemie – auch eine neue Chance liegt, seine Forschung weiterzuführen.